1. Wenn Sie an Lübeck denken, welche Bilder haben Sie dann vor Augen?
Joachim Gauck: Ja, wahrscheinlich die, die Einwohner von Lübeck auch vor Augen haben. Ich sehe dieses wunderschöne Stadtbild mit den Türmen und die Zahl 7 ist mir als Rostocker auch vertraut. Ich habe natürlich auch immer das Holstentor vor Augen, wie die meisten Deutschen, wenn der Name Lübeck fällt. Und das verbindet mich. Es gibt gute Gefühle.
2. Ob Hansetag, Vorträge in St. Jakobi oder das 850. Domjubiläum – Sie sind häufig in Lübeck zu Gast. Was beeindruckt Sie an dieser Stadt?
Joachim Gauck: Es ist Verschiedenes, was mich beeindruckt, wenn ich an Lübeck denke. Wissen Sie, ich bin ja im Krieg geboren und komme aus einer Stadt, die im Krieg sehr zerstört ist. Lübeck war noch mehr zerstört als Rostock und hat sich entschlossen nach dem Krieg, den alten Charakter wieder herzustellen durch Wiederaufbau Maßnahmen. Davon haben Bürgerhäuser und Kirchen profitiert und unzählige Lübecker haben ihre Heimat wiedererkannt und wiedergefunden. Das ist etwas, was mich stark beeindruckt hat. Dann bin ich sowohl als Präsident als auch als Bürger beeindruckt von dieser Bürgergesinnung, die erhalten geblieben ist. Anders als im Osten Deutschlands, wo diese aktive Zivilgesellschaft, die von unten her das eigene Interesse fördert, ja irgendwie kaputtgegangen ist, haben wir in den Hansestädten im Westen noch diesen Bürgersinn erhalten, der sich für unsere Stadt, für unsere Umgebung auch verantwortlich fühlt. Wo Unternehmen existieren, die als Mäzenaten und Stifter auch Teil der Stadtgesellschaft geworden sind, mit denen die Politik auch rechnen kann. Und dadurch ist so eine Gemengelage entstanden, dass gewählte Politiker und eigenverantwortliches, bürgerschaftliches Engagement, Staat, Bürgergesellschaft und auch Kirche prägen. Und das ist ein hohes kulturelles und politisches Gut. Ganz unabhängig von der Schönheit der Gebäude ist also Lübeck als Lebensform etwas, was wir unbedingt erhalten und fördern müssen.
3. Die Sieben Türme der fünf Altstadtkirchen Lübecks brauchen Hilfe. Seit vielen Jahren gibt es eine von vielen Ehrenamtlichen unterstützte Kampagne „Sieben Türme will ich sehen“. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht dieses gesellschaftliche Engagement?
Joachim Gauck: Wenn ich jetzt die Schirmherrschaft übernehme für 7Türme+, dann tue ich das, weil mich auch die Aktivität der Förderkampagne, die es schon seit vielen Jahren gibt, beeindruckt hat. Hier haben wir bürgerschaftliches Engagement, das immerhin Millionen Beträge eingesammelt hat. Das heißt, es ist der Kampagne gelungen, Bürger mit Herz und Verstand zu gewinnen: Das ist unsere Stadt, das ist Weltkulturerbe und unsere Heimat und dafür fühlen wir uns auch verantwortlich. Und das ist so wichtig, weil wir so eine Neigung haben in Teilen unserer Bevölkerung „Das sollen die da mal machen“. Die Institutionen des Staates oder auch der Kirche sind ohne die Mitwirkung der Bürgerschaft vielfach überfordert. Und deshalb freue ich mich immer, wenn es gelingt, dass wir Aktivitäten des Bundes, des Landes, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft haben. Und das hat auch einen politischen Grund. Es ist nicht nur die Nähe zur Heimat, in der wir leben, sondern dieses Engagement der Einzelnen ist etwas, was den Lebensatem der Demokratie verkörpert. Und Menschen, die sich für regionale Belange engagieren, erlernen schon, dass es wichtig ist, sich über das Eigeninteresse hinaus zu engagieren. Und davon lebt letztlich die liberale Demokratie.
4. Jetzt wird es eine neue Stiftung zur Finanzierung des Erhalts der Lübecker Innenstadtkirchen geben – 7Türme+. Warum übernehmen Sie das Amt des Schirmherrn?
Joachim Gauck: Ich übernehme die Schirmherrschaft für 7Türme+ sehr gerne – und nicht nur aus norddeutscher Verbundenheit von Hansestadt zu Hansestadt, sondern weil mich als Bürger, wie als ehemaliger Bundespräsident fasziniert, wenn Menschen, Einzelpersonen, Stiftungen, öffentliche Stellen, politisch engagierte Menschen und Menschen aus den Kirchen zusammen ein großes Werk schaffen. Und Lübeck ist zu schön, um es dem Verfall preis zu geben. Es ist eine Stätte, die zum Weltkulturerbe gehört. Und wir wollen unseren Nachkommen, Zeugnisse auch unserer Kraft und unseres Willens überlassen und zeigen, dass wir uns verantwortlich fühlen. Und Verantwortung zu leben, ist der Lebensatem einer Demokratie. Deshalb freue ich mich auch, an dieser Stelle mit meiner Schirmherrschaft die Aktivität unterstützen zu können.
5. Welchen Wunsch, welchen Appell möchten Sie an Menschen in Lübeck, in Schleswig-Holstein, in ganz Deutschland richten?
Joachim Gauck: Es gibt so etwas wie eine deutsche Verdrießlichkeit, ähnlich wie die deutsche Ängstlichkeit, die immer relativ früh kommt, wenn wir uns vergleichen mit Nachbarländern. Manche halten diese Verdrießlichkeit und Ängstlichkeit sogar für einen Beweis kultureller Reife. Das ist natürlich Unfug wir brauchen Menschen, die ans Gelingen glauben. Wir brauchen auch eine Verstetigung der einmal gestarteten Bereitschaft zu helfen. Oft erlahmen Menschen, wenn sie einmal geholfen haben. Und wir brauchen diejenigen, die einen langen Atem haben. Und darum beglückwünsche ich diejenigen, die sich entschlossen haben, hier gemeinsam dieses schöne Werk zu fördern.